Einleitung zu unseren Bekenntnissen

Inhalt:

Der Heidelberger Katechismus

Wenn man sieht, mit welch rasanter Geschwindigkeit sich in vielen Landstrichen Deutschlands die Reformation des 16. Jahrhunderts ausbreitete, vollzog sich der Übertritt der Kurpfalz zum Protestantismus im Jahre 1546, dem Todesjahr Martin Luthers, relativ spät – fast 30 Jahre nach Luthers Thesenanschlag (1517) und der »Heidelberger Disputation« (1518).

Die Reformation von 1546 unter Kurfürst Friedrich II. war jedoch keine bleibende. Seit dem Beginn des Tridentinischen Konzils 1546 und der Einsetzung des Augsburger Interims 1548, bekamen die lutherisch Gesinnten wieder den Druck der Altgläubigen zu spüren. Erst im Zuge des Augsburger Religionsfriedens von 1555 gab es wieder Raum für die Protestanten in der Kurpfalz. Im Jahre 1556, unter Kurfürst Ottheinrich, konnte die Hinwendung der Kurpfalz zum Luthertum dann vollendet und durch Einführung einer lutherischen Kirchenordnung besiegelt werden. Allmählich entwickelte sich die Kurpfalz zu einer Art Zufluchtsstätte für Protestanten unterschiedlichster Spielart. Neben den Lutheranern wurden nun auch »Zwinglianer«, »Calvinisten« und natürlich von Philipp Melanchthon beeinflusste Protestanten (»Philippisten«) toleriert und gefördert.

Nachdem Friedrich III. im Jahre 1559 die Regierung angetreten hatte, führte er zunächst die Politik der Toleranz gegenüber verschiedenen protestantischen Richtungen fort. Dies änderte sich allerdings durch die noch im selben Jahr einsetzenden »eucharistischen Streitigkeiten«, die in der »Heidelberger Disputation« von 1560 gipfelten. Das Ergebnis dieser Verhandlung war, dass Friedrich vollständig für die reformierte Position gewonnen wurde.

Als Folge seiner Hinwendung zum reformierten Protestantismus machte sich der Fürst sogleich daran, diesen in seinem Herrschaftsgebiet systematisch auszubauen. Er berief einige ausgewählte Theologieprofessoren an die Heidelberger Universität, unter anderem den 28-jährigen Zacharias Ursin (Ursinus, eigentlich Bär) aus Breslau sowie den damals 26 Jahre alten Caspar Olevian (Olevianus). Ursin hatte in Wittenberg unter Melanchthon sowie in Genf bei Calvin studiert; Olevian war gut befreundet mit Friedrichs Sohn und ebenfalls ein Schüler Calvins. 1561 traten Olevian und Ursin ihren Dienst an der Universität in Heidelberg an, Olevian darüber hinaus zunächst als Hofprediger und ab 1562 dann als Prediger an der Heiliggeistkirche.

Die Kurpfalz war das erste reformierte Gebiet in deutschen Landen, weshalb seit den frühen 60er Jahren des 16. Jahrhunderts immer mehr reformierte Flüchtlinge in die Pfalz strömten, wie etwa die Wallonen, die bereits 1562 eine Flüchtlingsgemeinde in Frankenthal gründeten.

Ein zweiter Schritt zur politischen und kirchlichen Konsolidierung der Kurpfalz war die Beauftragung von Theologen und Kirchendienern mit der Ausarbeitung eines Katechismus, der als Bekenntnis dienen sollte, sowie einer reformierten Kirchenordnung, nach der die Kirche organisiert werden sollte. Friedrich selbst überwachte diesen Prozess, der 1563 mit der Veröffentlichung des Heidelberger Katechismus sowie der Kirchenordnung der Kurpfalz zu seinem Abschluss kam. Man nimmt heute in der Forschung allgemein an, dass Zacharias Ursin, der selbst schon einige Katechismen als schriftliche Vorarbeiten verfasst hatte, der Hauptverantwortliche für den Inhalt des »Heidelberger« ist. Andererseits wurde der Katechismus als Auftragsarbeit des Kurfürsten für die Pfälzer Kirche, d. h. als politisch und kirchlich sanktioniertes Dokument, und nicht als das Werk einzelner Theologen, veröffentlicht.

Der Katechismus wurde, eingebettet in die Kirchenordnung der kurpfälzischen Kirche, 1563 offiziell unter dem Namen: »Catechismus Oder Christlicher Vnderricht wie der in Kirchen vnd Schulen der Churfürstlichen Pfaltz getrieben wirdt« angenommen. Er erfuhr eine rasche Ausbreitung, wurde innerhalb weniger Jahre in die lateinische, niederländische, englische, französische und viele andere Sprachen übersetzt.

Heute findet man den Katechismus in jeder europäischen Sprache und vielen Dutzenden asiatischen und afrikanischen Sprachen. Er ist der am weitesten verbreitete reformierte Katechismus und zugleich die am weitesten verbreitete reformierte Bekenntnisschrift. Vor allem reformierte Kirchen in den Niederlanden und den USA, aber auch Kirchen in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten haben den Heidelberger Katechismus bis heute als verbindliches Bekenntnis.

Seine weite Verbreitung und freundliche Aufnahme verdankt der Katechismus sicherlich seinem irenischen Ton. So manche theologische Streitpunkte, die man mit dem reformierten Glauben verbindet, werden nicht konkret aufgegriffen. Es wäre jedoch falsch, daraus den Schluss ziehen zu wollen, der »Heidelberger« sei gar kein explizit reformiertes, sondern eher ein »ökumenisches« (etwa philippistisches) Bekenntnis. Wenn wir lesen, wie die Beteiligten, etwa Ursin selbst, die Lehre »ihres« Katechismus verstanden haben, wird schnell klar, dass jeweils ein ausgesprochen reformiertes Verständnis zugrunde lag.

Der Katechismus ist seit seiner dritten, leicht veränderten Auflage (vor allem durch die Hinzufügung von Frage 80 durch Friedrich) in 52 Sonntage aufgeteilt. Schon früh verband man damit den Wunsch und das Ziel, dass der Katechismus in den Gottesdiensten an jedem Sonntagnachmittag innerhalb eines Jahres gepredigt und erklärt werden sollte. Diese Praxis, in Verbindung mit der klassischen Textauslegungspredigt am Vormittag, sollte den Gemeinden eine solide biblische und systematische Kenntnis ihres Glaubens – des reformierten Glaubens – geben. Obwohl sie sich lange Zeit bewährt hat, ist diese Praxis in Deutschland heute nahezu ausgestorben.

Der Katechismus hat eine sehr prägnante Struktur. Die drei Hauptteile sind betitelt: »Von des Menschen Elend« – »Von des Menschen Erlösung« – »Von des Menschen Dankbarkeit«. Schon daraus wird deutlich – der Katechismus ist keine systematische Theologie, sondern er zeichnet mit dieser Struktur die Erfahrung des Christen nach. Zuerst die Erkenntnis des eigenen Elends, dann die Erfahrung der Erlösung und schließlich die »evangelische« Dankbarkeit.

Diese Struktur wird eingerahmt und zusammengefasst in Frage 1, die lautet:

Frage: Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?

Antwort: Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst; und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt fallen kann, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss. Darum macht er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, ihm forthin zu leben.

Oft wurde kritisch angefragt wieso der Heidelberger Katechismus mit einem menschlichen Bedürfnis – nämlich der Suche nach Trost – beginnt und nicht mit der Gotteserkenntnis oder etwas ähnlichem. Einerseits sahen die Verfasser des Katechismus »Trost« – theologisch verstanden – als eine zentrale Frucht des Evangeliums. Andererseits spielte sicherlich auch der historische Kontext eine Rolle. Der altkirchlichen (katholischen) Betonung auf die Werke der Buße, durch die man zeitlebens für seine Sünden bezahlen musste, stellt der Katechismus den Trost gegenüber: »Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt …«. In einer Zeit von Pest, Hunger und Kriegen beginnt der Katechismus mit dem Trost: »… er  bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt fallen kann, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss.« Und schließlich gab er einer geschundenen und von Zweifel geplagten Christenheit den Trost, »… darum macht er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss …«.

Der Genfer Reformator Johannes Calvin hatte in der Vorrede zu dem von ihm verfassten »Genfer Katechismus« das Anliegen des Katechismus beschrieben:

Man hat in der Kirche immer darauf geachtet und dafür gesorgt, dass die Kinder in der christlichen Lehre gehörig unterrichtet würden. Damit dies desto leichter geschehen könne, hat man vorzeiten nicht nur Schulen eröffnet, und einem jeden befohlen, seine Hausgenossen wohl zu unterweisen, sondern es ist auch als eine öffentliche Veranstaltung Sitte geworden, die Kinder in der Kirche über diejenigen Lehrstücke zu befragen, welche allen Christen gemein und bekannt sein müssen. Damit dies aber ordentlich geschehe, setzte man ein Formular auf, welches Katechismus oder Unterweisung genannt wurde.

Calvins Wunsch war also, dass ein Katechismus gefunden werde, den alle oder viele reformierten Kirchen gemeinsam haben. In seiner Widmung seines Katechismus »an die treuen Diener welche in Ostfriesland die reine Lehre des Evangeliums verkündigen« wiederholt er diesen Wunsch (1545):

Es wäre nicht nur zu wünschen, dass eine vollkommene Übereinstimmung in der Lehre von der Gottseligkeit unter allen bestände, sondern auch, dass alle Kirchen einerlei Katechismus hätten. Allein da es aus vielen Ursachen schwerlich jemals dahin wird gebracht werden, dass nicht jede Kirche ihre eigene Form haben sollte, so mag man deshalb nicht streiten; nur sei die Verschiedenheit der Lehrweise so beschaffen, dass wir alle zu dem einen Christus hingeführt werden, und durch seine Wahrheit untereinander verbunden, so zu einem Leibe und zu einem Geiste verschmelzen, dass wir alles, was die Hauptpunkte des Glaubens betrifft, mit einem Munde verkündigen.

Heinrich Bullinger, ebenfalls ein schweizerischer Reformator und Vorsteher der Züricher Kirche, sagte über unseren Heidelberger Katechismus, nachdem er ihn gelesen hatte:

Den Katechismus des erlauchten Herrn und Kurfürsten Friedrich habe ich mit großer Aufmerksamkeit gelesen und beim Lesen Gott herzlich gedankt, der das Werk, welches er angefangen, auch bekräftigt. Die Anordnung des Buches ist übersichtlich, die Lehren sind rein und der Wahrheit gemäß dargelegt. Alles ist deutlich und erbaulich; in knapper Form ist ein reicher Inhalt zusammengedrängt. Ich halte dafür, dass ein besserer Katechismus nicht erschienen ist.

Otto Thelemann kommentiert den Wunsch Calvins in seiner Handreichung zum Heidelberger Katechismus (1887):

Wenn auch nur annähernd, so doch am meisten ist jener Wunsch Calvins durch den Heidelberger Katechismus erfüllt worden, da derselbe nicht bloß in allen deutschen reformierten Kirchen (auch außerhalb Deutschlands, besonders in der deutschen Schweiz, später auch in Nordamerika) und den Kirchen der Niederlande als Lehrbuch für die Jugend Annahme fand, sondern auch auf dem reformierten Konzil zu Dordrecht (1618) die Zustimmung der reformierten Kirchen aller Länder erhielt. Und wir dürfen wohl sagen, dass der Genfer Katechismus von dem Heidelberger, der freilich auch auf seinen Schultern steht, übertroffen ist.


Niederländisches Bekenntnis

Die Ursprünge des so genannten »Niederländischen Glaubensbekenntnisses« liegen, wie der Name schon sagt, in den Niederlanden – und zwar in dem südlichen, wallonischen (d. h. französischsprachigen) Teil, der später zu Belgien fiel. Daher ist es auch unter dem lateinischen Namen »Confessio Belgica« bekannt.

Ab etwa 1550 formierten sich die Reformierten in den Niederlanden unter dem Druck der spanischen Verfolgung (Inquisition) zu einer »Kirche unter dem Kreuz«, ähnlich den Hugenotten in Frankreich. Aufgrund der zunehmenden Verfolgung der reformierten Christen durch die spanische Krone nahmen reformierte Pastoren immer wieder Zuflucht im naheliegenden deutschen Ausland. Vor allem die Stadt Emden wurde zu einem solchen Zufluchtsort und die dortige Kirche zur »Mutterkirche« (moederkerk) der Reformierten aus den benachbarten Niederlanden.

Im Jahr 1561 verfasste der Theologe und Pastor Guy de Brès (auch Guido de Bray; 1522–1567) ein Bekenntnis mit dem Ziel, die vornehmlich von Katholiken verbreiteten Gerüchte über die Reformierten, sie seien Gotteslästerer, Aufrührer und zügellos in ihrer Lebensführung, zu entkräften und den »allgemeinen christlichen Glauben« in Übereinstimmung mit der altkirchlichen Lehre und der Heiligen Schrift darzulegen. Das Bekenntnis war somit in erster Linie eine Bittschrift an den katholischen König Philipp II. von Spanien, die Verfolgung zu beenden.

In der Abfassung des Dokuments, das schließlich unter dem Titel »Confession de foi des églises des Pays Bas« (Bekenntnis des Glaubens der Kirchen der Niederlande) veröffentlicht werden sollte, erhielt de Brès jedoch fachliche Hilfe von anderen Pastoren und Theologen, unter anderem von Franciscus Junius, dem Älteren (1545–1602), der ebenso wie de Brès in Genf Theologie studiert hatte, und der später Professor der Theologie an den Universitäten Heidelberg und Leiden wurde.

Das Niederländische Bekenntnis findet einen wichtigen Vorläufer in der hugenottischen »Confession de La Rochelle« (auch Confessio Gallicana) von 1559, die nach einem Entwurf Calvins verfasst und durch einen Calvinschüler ergänzt worden war. Somit atmet auch das Niederländische Bekenntnis ganz den Geist Calvins. Erste Ausgaben des Bekenntnisses wurden zur Begutachtung deshalb auch nach Genf gesandt.

Neben dem bereits erwähnten Anliegen des Niederländischen Bekenntnisses, den reformierten Glauben als »katholisch«, d. h. als allgemein biblisch und in Übereinstimmung mit dem, was die Kirche zu ihren besten Zeiten geglaubt hat (z. B. den altkirchlichen Bekenntnisschriften) zu belegen, war ein weiteres Anliegen ihrer Verfasser, den Glauben der so genannten »Täufer« (Anabaptisten), dem radikalen Flügel der Reformation, als etwas zu entlarven, das jenem »allgemeinen Glauben« zuwiderläuft.

Der historische Kontext der Verfolgung der Calvinisten in den Niederlanden legt nahe, dass das Bekenntnis keineswegs bloß eine akademische Übung war. Die Verfasser des Bekenntnisses, allen voran Guy de Brès, sowie viele Tausende Unterzeichner desselben wussten, dass es ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben kosten würde. Und trotzdem bekannte man aus Liebe zur Wahrheit der Heiligen Schrift, wie sie in diesem Bekenntnis zusammengefasst wird, mutig den reformierten Glauben.

In der ursprünglichen Vorrede zum Niederländischen Bekenntnis lesen wir:

Aber wir danken unserem Gott, dass das Blut unserer Brüder, vergossen für unsere Sache oder vielmehr für die Sache Jesu Christi und das Zeugnis der Wahrheit, bezeugt und dass Verbannung, Gefängnis, Folter, Vertreibung, Marter und andere unzählige Bedrückungen deutlich beweisen, daß unser Verlangen und unsere Forderung nicht fleischlich ist, da wir, ohne diese Lehre zu verteidigen, weit besser zu unserer Gemächlichkeit leben könnten dem Fleische nach. Aber indem wir die Furcht Gottes vor Augen haben und erschreckt sind durch diese Drohung Jesu Christi, der sagt, dass er uns vor Gott, seinem Vater, verleugnen wird, wenn wir ihn verleugnen vor den Menschen, so geben wir unseren Rücken den Schlägen hin, unsere Zunge dem Messer, unseren Mund dem Foltergebiss und unseren ganzem Leib dem Feuer, indem wir wissen, dass, wer Christus folgen will, sein Kreuz auf sich nehmen muss und sich selbst verleugnen.

Dass diese Bereitschaft, um des Bekenntnisses willen Leid auf sich zu nehmen, kein Lippenbekenntnis war, zeigt die Tatsache, dass in den Jahren der Verfolgung schätzungsweise 100.000 Reformierte in den Niederlanden als Märtyrer starben. De Brès selbst wurde 1566 in die Unruhen um die Reformation der Kirche in der Stadt Valenciennes verwickelt und 1567 öffentlich gehenkt.

Zusammen mit dem 1563 entstandenen und sogleich ins Niederländische übersetzten Heidelberger Katechismus bildete die »Confessio Belgica« das Fundament des reformierten Bekenntnisses in den Niederlanden.

Im Jahre 1568 kamen die niederländischen »Kirchen unter dem Kreuz« erstmals zu einer kirchlichen Versammlung zusammen – dem so genannten »Weseler Konvent« in Wesel an der Lippe. Konstituiert wurde die Niederländische Reformierte Kirche allerdings erst 1571, bei der ersten Synode, die wiederum auf deutschem Boden, nämlich in Emden, stattfand. Dort wurde eine (presbyterial-synodale) Kirchenordnung festgelegt und verabschiedet, die beispielhaft für viele spätere reformierte Kirchenordnungen wurde. Delegierte auf der Emder Synode waren u. a. Gaspar van der Heyden, Pastor der reformierten Gemeinde in Frankenthal, Pastoren und Älteste der Flüchtlingsgemeinden in Emden, Köln, Aachen und Heidelberg. Obwohl die Flüchtlingsgemeinden rechtlich eigenständig waren, wurden doch die Gemeinden in Frankenthal und Heidelberg der Pfälzer Landeskirche eingegliedert.

Schon früh gab es also »Grenzüberschreitungen« zwischen den niederländischen und den deutschen Gemeinden und ihrem Bekenntnis. In Emden wurde auch festgelegt, dass die Flüchtlingsgemeinden in Deutschland neben dem »Niederländischen Bekenntnis« auch den »Heidelberger Katechismus« gebrauchen sollten.


Die Dordrechter Lehrregel

Viele, die mit dem Begriff »reformiert« etwas anfangen können, haben schon einmal von den so genannten »Fünf Punkten des Calvinismus« gehört. Leider wird der reformierte Glaube oft fälschlicherweise auf diese fünf Punkte reduziert. Ebenfalls bedauernswert ist, dass heute nur sehr wenige Christen wissen, wo die geschichtlichen Wurzeln dieser fünf Punkte liegen.

Im ausgehenden 16. Jahrhundert kamen die Lehren der Sünde,
der Gnade, der Rechtfertigung, der Sühne und der Gewissheit des Glaubens, wie sie im Niederländischen Bekenntnis formuliert sind, in der reformierten Kirche in den Niederlanden und anderswo unter Beschuss.

Jakob Arminius (1560–1609) war ein reformierter Pfarrer, der an den besten Hochschulen Europas (Leiden, Calvins Akademie in Genf, Marburg, Utrecht) ausgebildet worden war. Als Professor der Theologie in Leiden geriet er in einen Streit mit seinem Kollegen Franciscus Gomarus über die göttliche Vorherbestimmung von Menschen zu Heil und Unheil. Arminius behauptete, Gott habe Menschen aufgrund eines vorhergesehenen Glaubens, und nicht ohne ihn, auserwählt. Gomarus vertrat die klassische Position des Niederländischen Bekenntnisses, dass Gott nicht aufgrund eines wie auch immer vorhergesehenen Glaubens erwählt, sondern seine Erwählung bedingungslos und von Ewigkeit her ist. In seiner Beschäftigung mit dem siebten Kapitel des Römerbriefs schloss Arminius, dass dort nicht die Rede von Paulus dem Christen sein könne, sondern von der vorchristlichen Erfahrung des Apostels. Die Auseinandersetzung mit Kapitel 9 des Römerbriefs ließ in ihm die Erkenntnis reifen, dass sich die Zugehörigkeit zum Gnadenbund nicht allein am souveränen Ratschluss Gottes entscheidet, sondern auch am Menschen. Nachdem der Streit einige Jahre geschwelt hatte, nahm er größere Proportionen an. Um Arminius formierte sich eine Gruppe, nach seinem Tod 1609 »Remonstranten« (später auch »Arminianer«) genannt, die seine Ansichten in der Kirche populär zu machen suchten. Im Jahre 1610 publizierten diese Remonstranten fünf Artikel, in denen sie die Lehre der reformierten Bekenntnisschriften (z. B. dem Niederländischen Bekenntnis) ablehnten bzw. stark umdeuteten.

Im ersten Punkt lehrten die Remonstranten die bedingte, auf Gottes Voraussicht des Glaubens begründete Erwählung. Im zweiten Punkt wird ein universales Sühnopfer Christi vertreten gegenüber der klassisch-reformierten Lehre vom stellvertretenden Sühnopfer Christi, das nur für die Erwählten wirksam wird. Im dritten Punkt vertraten sie eine stark abgeschwächte Erbsündenlehre oder Lehre von der Sündhaftigkeit des Menschen. Im vierten Punkt wurde die Gnade Gottes als eine »Befähigung«, nicht jedoch als eine unwiderstehliche göttliche Kraft gedeutet, und im fünften Punkt schließlich lehrten die »Arminianer« die stets vorhandene reelle Gefahr und Möglichkeit des totalen Abfalls vom Glauben gegenüber der Betonung der reformierten Bekenntnisse auf die göttliche Bewahrung der Heiligen.

Gomarus hatte ebenfalls seine Gefolgschaft, die weiterhin für die klassisch-reformierte Position der Bekenntnisschriften eintrat. Nach 1610 sah man sich verpflichtet, auf die »Remonstranz« der Arminianer zu reagieren und jene vor den kirchlichen Gerichtshöfen zur Verantwortung zu ziehen. Dies geschah ab 1617 unter Drängen von Fürst Moritz von Oranien, der vor allem politisch gegen die Remonstranten vorgehen wollte. Deshalb berief Moritz 1618 die wichtigste internationale reformierte Synode ein. Gleichzeitig beschloss Moritz die Hinrichtung eines Wortführers der Remonstranten, Johan van Oldenbarnevelts.

Viel erfreulicher als die Hinrichtung eines Remonstrantenführers war jedoch die geschlossene Haltung der Synode samt ihrer internationalen Vertreter zahlreicher reformierter Kirchen. Am 13. November 1618 begann die Synode zu tagen. Es waren Teilnehmer aus ganz Europa, einschließlich der britischen Inseln, anwesend, darunter drei Theologen aus der Kurpfalz, drei aus Bremen, zwei aus Genf, vier aus Hessen, Alsted, Bisterfeld und Fabricius aus der Wetterau, sowie zwei aus der Kirche in Emden. Lediglich den Franzosen war von König Ludwig XIII. die Teilnahme versagt geblieben.

So trat die Synode zu Dordrecht an mit der großen Hoffnung, so etwas wie eine grenzüberschreitende Formulierung der Herzstücke des reformierten Glaubens zu erarbeiten. Schon im Vorfeld hatte man eifrig an einer Antwort auf die »fünf Punkte der Remonstranten« gearbeitet. So konnte man zügig und mit großer Eintracht eine »Contra-Remonstranz«, d. h. ein Dokument zusammenstellen, in dem der Arminianismus Punkt für Punkt aus der Heiligen Schrift widerlegt wurde und sich somit als eine Lehre erwies, die nicht auf dem Boden des reformierten Bekenntnisses steht. Das Ergebnis dieser theologischen Bemühungen waren die »Canones«, d. h. der Lehrkanon oder die Lehrregel, der Synode zu Dordrecht, wie sie auch in diesem Bekenntnisbuch zu finden sind.

Das theologische Einverständnis, das in der Lehrregel zum Ausdruck kommt, nahmen die kirchlichen Vertreter mal mehr, mal weniger mit nach Hause in ihre jeweiligen Kirchen, wo man nun gemeinsam als internationale reformierte Gemeinschaft versuchte, den Irrlehren des Arminianismus entgegen zu treten. Die Beschlüsse der Dordrechter Synode waren damals nicht und sind auch heute keine theologischen Spitzfindigkeiten. Vielmehr greift der Arminianismus, der heute noch viel weiter verbreitet ist als damals und in vielen protestantischen Kirchen landauf landab salonfähig zu sein scheint, das Wesen des Evangeliums selbst an. Eine Gnade, die auf unserem menschlichen Handeln basiert, ist keine Gnade mehr. Eine Erlösung, die rein hypothetisch ist, ist keine Erlösung mehr. Und eine Rettung, die zeitlich ist und derer ich mir niemals wirklich gewiss sein kann, ist keine Rettung mehr.

Deshalb ist es heute so wichtig, vielleicht wichtiger als je zuvor, die biblische Lehre, wie sie in der Lehrregel zusammengetragen wird, neu zu entdecken, zu bekennen und zu verteidigen.

Sozusagen als Nebeneffekt behandelt die Lehrregel auch die Frage nach dem allgemeinen Angebot des Evangeliums, d. h. nach der biblisch angemessenen Art der Evangelisation. In einer Zeit, in der man den Reformierten vorwirft, die Lehre von der Erwählung sei nicht in Einklang zu bringen mit einer leidenschaftlichen Verbreitung des Evangeliums unter denen, die noch nicht glauben, haben wir hier eine konfessionelle Antwort auf diesen Vorwurf sowie eine theologisch verortete Motivation für Evangelisation und Mission.

Auf der Dordrechter Synode, die bis 1619 andauerte, wurde aber nicht nur die Lehrregel als Antwort auf die Herausforderung der Remonstranten formuliert. Es wurde auch das Niederländische Bekenntnis revidiert und in die Fassung gebracht, in der es seine weite Verbreitung erfahren hat. Außerdem wurde es gleich in vier Sprachen verabschiedet: im französischen Original, auf Latein, auf Niederländisch und auf Deutsch.

Auch wenn es einige Zeit dauerte, bis sich die drei Dokumente – der Heidelberger, das Niederländische Glaubensbekenntnis und die Lehrregel von Dordrecht – als einander ergänzende Bekenntnisschriften in den Kirchen durchsetzten, haben wir hier den Beginn einer vielfach bewährten und reich gesegneten Praxis.

Der »Heidelberger« als Instrument der Katechese für Jugendliche und Erwachsene, das »Niederländische Glaubensbekenntnis« als systematische Zusammenfassung des reformierten Glaubens sowie die »Lehrregel« als detailierte Klärung des Gnadenverständnisses bilden gerade im Dreiklang ein robustes kirchliches Bekenntnis, mit dem es sich zu leben und für das es sich zu sterben lohnt.

Mögen diese Bekenntnisse, als Zusammenfassungen der heilsamen Lehre der Heiligen Schrift, auch in Deutschland wieder solchen Segen für die Kirche Jesu Christi bringen.

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