Geschichte & Herkunft unserer Kirchenordnung

Jede Kirche braucht eine Ordnung. Und jede Kirche hat eine solche Ordnung. Doch kaum eine Kirchenordnung, ganz gleich ob sie explizit ausformuliert wurde oder ob sie aus unreflektierten Regelungen besteht, kommt »aus dem Nichts«. Auch unsere nicht.

Im Zuge der Reformation im 16. Jahrhundert hat sich die protestantische Kirche nicht nur neu auf die biblischen Inhalte besonnen, sondern auch festgestellt, dass die Form und Ordnung des kirchlichen Lebens ebenso reformiert werden musste. So sehen wir schon in der Frühzeit der Reformation Neuentwürfe kirchlicher Ordnung (z.B. in Wittenberg, in Zürich, in Straßburg, in Genf, in Emden). Insbesondere die reformierten Kirchen maßen der Ordnung der Kirche nach dem Wort Gottes unter ihrem alleinigen Haupt Jesus Christus von Anfang an große Bedeutung bei. Für unsere Geschichte von großem Belang ist die Kirchenordnung, die unter Friedrich dem III. in der Kurpfalz entstand und 1563 in Kraft trat.

Insbesondere letztere Kirchenordnung übte großen Einfluss auf die Entwicklung der reformierten Kirche in den Niederlanden im ausgehenden 16. Jahrhundert aus. Dort, unter dem Druck der brutalen Verfolgung durch die römische Kirche (Philipp II.), entstand eine reformierte Kirche, die sich unter sehr schwierigen Bedingungen auch eine Ordnung gab. 1568 traten 43 Vertreter reformierter Kirchengemeinden in den Niederlanden (die meisten unter ihnen Flüchtlingsgemeinden) in der Hansestadt Wesel zusammen (Weseler Konvent 1). Die acht Beschlüsse oder Artikel dieser Versammlung sind bis heute richtungsweisend für reformierte Kirchenordnung. und Kirchenrecht. Unter anderem finden wir hier die erste Formulierung des presbyterial-synodalen Modells der Kirchenordnung. Die Beschlüsse des Weseler Konvents wurden neben den niederländischen Kirchen auch bald in Deutschland aufgegriffen. So entstanden etwa in den Kirchen in den deutschen Herzogtümern Jülich, Kleve, Berg und Mark Konsistorien (lokale Presbyterien), eine regionale Klassis (Classe Wesel), und 1610 die erste deutsche reformierte Generalsynode (in Duisburg).

Schon kurz darauf, im Jahr 1571 tagte die erste echte niederländische Synode, und zwar aufgrund der Verfolgungssituation im deutschen Emden 2. In rascher Folge schließen sich Synoden an, in denen die reformierte Kirchenordnung ständig weiterentwickelt wurde. Zu nennen sind hier die Synoden in Dordrecht (1574 und 1578), in Middelburg (1591), Den Haag (1568).

Diese Entwicklung reformierter Kirchenverfassung kulminiert in der großen Dordrechter Synode, die von 1618–1619tagte und zu der viele internationale Vertreter reformierter Kirchen eingeladen wurden. 3 Diese Synode ist vor allem bekannt geworden durch die Zurückweisung der remonstrantischen oder arminianischen Heilslehre in den fünf Punkten der so genannten »Dordrechter Lehrregel«. Doch die Kirchenordnung, die in Dordrecht verabschiedet wurde, hat die Zukunft der reformierten Kirchen weltweit mindestens ebenso stark geprägt, wie die »Lehrregel«, wenn nicht noch mehr.

In der Dordrechter Kirchenordnung von 1619 finden sich klare biblische Prinzipien des Kirchenregiments. Zentral ist das Recht der kirchlichen Selbstverwaltung (z.B. in der Berufung und Einsetzung von Amtsträgern sowie der Exkommunikation ihrer Glieder) sowie der Autonomie der Ortsgemeinde, die durch ein Konsistorium (bestehend aus Pastoren und Ältesten) regiert wird. Gleichzeitig wird die Einzelgemeinde eingebunden in die regionale Kirche (in so genannten »Klassen« sowie regionalen Synoden) und in die Gesamtkirche (in ihren Generalsynoden). Die Beschlüsse der breiteren Versammlungen der Kirche werden für die Ortsgemeinden als verbindlich und gültig angesehen.

Die Dordrechter Kirchenordnung ist bis heute – mit lediglich kleineren Änderungen – die Kirchenordnung von reformierten Kirchen in den Niederlanden, in den USA, in Südafrika, in Australien und Neuseeland, in Kanada, und eben in Deutschland. Sie ist auch unsere bewährte Kirchenordnung. 4

Fußnoten:

  1. Die Beschlüsse des Weseler Konvents von 1568 – Herausgegeben und ins Deutsche übertragen von Gerhard J. F. Goeters – Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte Nr. 30
  2. Acta Synodi ecclesiarum Belgicarum habitae Embdae (1571) in: Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche. Im Auftrag des Reformierten Bundes und des Reformierten Konventes der Deutschen Evangelischen Kirche … hg. v. Wilhelm Niesel, Zollikon-Zürich ²1938. Außerdem: Die Akten der Synode der Niederländischen Kirchen zu Emden vom 4.–13. Oktober 1571, Im lateinischen Grundtext mitsamt den alten niederländischen, französischen und deutschen Übersetzungen, Herausgegeben von J.F. Gerhard Goeters, in: Beiträge zur Geschichte und Lehre der reformierten Kirche, Herausgegeben von Hannelore Erhart, Walter Kreck, Gottfried W. Locher und Jürgen Moltmann, Band 34
  3. Eduard Böhl, Blätter der Erinnerung an die Dordrechter Synode 250 Jahre nach ihrem Zusammentritt allen Freunden der reformierten Lehre gewidmet. Abdruck aus der evangelisch-reformierten Kirchenzeitung, 1868
  4. lediglich überarbeitet an einigen Punkten, die so für heute und für unsere Situation nicht relevant sind

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